„Es ging um eine andere Gesellschaft“

Von Redaktion · · 2016/09

Die deutsche Journalistin und Autorin Eva-Maria Bruchhaus erklärt, welche progressiven Ziele die Befreiungsbewegung Eritreas einst verfolgte und wieso diese verloren gingen.

Sie reisten Ende der 1980er Jahre, also noch während des Unabhängigkeitskrieges, auf Einladung der Eritreischen Volksbefreiungsfront EPLF in die sogenannten befreiten Gebiete in Eritrea. Wie waren Ihre Eindrücke?

Die Leute der EPLF lebten und kämpften unter schwierigen Bedingungen. Und die Entwicklungsprojekte, die sie durchführten, waren beeindruckend.

Was für Projekte waren das?

Es gab zum Beispiel eine pharmazeutische Fabrik, die die wichtigsten Medikamente herstellte. Oder Bewässerungsprojekte, in deren Rahmen auch Flüsse umgeleitet wurden. Es wurde Saatgut produziert, und im Bildungssektor etwa ein neues Schulbildungskonzept erarbeitet. Es war eine Befreiungsbewegung, die sich nicht nur zum Ziel gesetzt hatte, das Land von der äthiopischen Herrschaft zu befreien, sondern sie hatte auch gesellschaftspolitische Ziele. Es ging nicht nur um die Unabhängigkeit, es ging auch um eine andere Gesellschaft.

War damals schon etwas davon erlebbar?

Die EPLF war sicher nicht durch und durch demokratisch, aber sie hat in den befreiten Gebieten doch dafür gesorgt, dass selbstbestimmte Strukturen aufgebaut wurden. Die Bevölkerung wurde in Diskussionen mit einbezogen, auch Frauen – was in dieser Region ein absolutes Novum war.

Wie haben Sie die Entwicklung nach der Unabhängigkeit wahrgenommen?

Wir hatten schon erwartet, dass die EPLF die Ideen, die im Befreiungskrieg entwickelt worden waren, dann auch umsetzen würde. Aber die militärischen Strukturen waren offensichtlich sehr viel ausgeprägter, als wir uns das vorstellen konnten.

Wann wurde Ihnen bewusst, dass die EPLF immer autoritärer wird?

Als die Verfassung 1997 vom Parlament nicht ratifiziert wurde. Der Verfassungsentwurf war sehr partizipativ erarbeitet worden, sogar auf Dorfebene mit der Bevölkerung. Aber das Parlament hat die Verfassung, wohl auf Betreiben der Regierung, nie in Kraft gesetzt. Außerdem hatte sich die eritreische Regierung zwar für ein Mehrparteiensystem ausgesprochen, machte aber keinerlei Anstalten, andere Parteien als die PFDJ, die Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit, die Nachfolgepartei der EPLF, zu akzeptieren. Also war es ein Einparteienregime.

Wie sehen Sie Eritrea heute? In vielen Berichten wird von einer vorsichtigen Öffnung geschrieben.

Ich glaube, dass das Regime noch keinen Wechsel will und fest im Sattel sitzt.

Interview: Bettina Rühl

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